von Dr. Herbert Büttner
Corona verändert unsere Gesellschaft. In der Krise ist der Staat gefragt, mit Geboten, Verboten und finanziellen Hilfen. Die Sehnsucht ist groß nach einem mächtigen Staat, der alles regelt und jeden Einzelnen unter seine schützenden Fittiche nimmt. In solchen Zeiten hat es der Liberalismus schwer. Dennoch ist Wachsamkeit angesagt. Wie weit darf der Staat gehen, wo sind die Grenzen seiner Zuständigkeit?
Für die Beantwortung dieser Frage lohnt ein Blick zurück in die Geschichte, genauer: auf Wilhelm von Humboldt, den liberalen Visionär. In seiner 1792 erschienen Schrift Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen warnt er davor, dass der Staat sich weder im Normalfall noch in der Krise um alles kümmern kann. Andernfalls drohe er nämlich, sich vom Ermöglicher zum Verhinderer der individuellen Entfaltung zu entwickeln, deren Garant er doch sein soll. Wilhelm von Humboldt postuliert eine Pflicht des Einzelnen, seine Talente zu entfalten und der zu werden, der er ist. Um dies nicht zu stören, sollte der Staat seine Eingriffe auf das Notwendige reduzieren und sich im Wesentlichen um Sicherheit, Frieden und öffentliche Ordnung kümmern.
Rückblickend kann man sagen: Die Gedanken des Wilhelm von Humboldt sind inzwischen vielfältig empirisch belegt. So haben beispielsweise 40 Jahre Sozialismus in Deutschland gezeigt, wie ein übergriffiger Staat mit Zwang und Kontrolle bis in die intimste Privatsphäre die Kraft der Erneuerung erstickt und letztlich damit sich selbst ad absurdum führt. Ein Staat mit unmündigen Bürgern kann auf Dauer nicht funktionieren. Ein Staat muss sich immer wieder im demokratischen Diskurs und mit der kreativen Kraft und dem kreativen Suchen eines jeden Einzelnen nach Lösungen von innen heraus erneuern und sich an veränderte Bedingungen anpassen.
Wilhelm von Humboldt, der spätere preußische Bildungsreformer, geht dabei von der natürlichen Freiheit des Menschen aus, die erst da endet, wo sie Rechte anderer verletzt. Das gilt auch für die aktuelle Pandemie. Nur mit Verboten, Reglementierungen und finanziellen Spritzen für die Wirtschaft alleine werden wir Corona nicht besiegen.
Vielleicht ist es deshalb auch jetzt an der Zeit, über die Idee eines neuen Kapitalismus nachzudenken, der sich auf zwei grundlegende Parameter stützt. Zum einen auf ein neues, erweitertes Unternehmerbild. Unternehmer im weiteren Sinne ist nämlich jeder, der mit viel Energie ein Ziel verfolgt und sich dafür Ressourcen sucht. So betrachtet haben wir Unternehmer in allen gesellschaftlichen Bereichen, vorausgesetzt, dass wir dem Einzelnen die entsprechenden Freiheiten gewähren und ihn in diesem Bestreben durch entsprechende Bildung fördern. Dieses erweiterte Unternehmensbild muss wiederbelebt werden. Zum anderen darf wirtschaftliches Handeln zukünftig sich dann nicht mehr alleine nur an ökonomischen Kriterien orientieren, sondern muss gleichberechtigt auch ökologische sowie soziale Aspekte berücksichtigen.
Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, sagt dazu treffend: „Wir dürfen nicht nur das Finanzkapital berücksichtigen, sondern auch das Sozialkapital, das Naturkapital und das menschliche Kapital“. So könnte es dann vielleicht auch gelingen, die Polarisierung und das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft Einhalt zu gebieten. Die Ideen des liberalen Visionärs Wilhelm von Humbold verknüpft mit der Idee eines neuen, sozialen Kapitalismus könnte der Nährboden für ein Wiedererstarken des politischen Liberalismus sein.